Foto: Thomas Kohler, CC BY-SA 2.0, Quelle: Flickr

25 Jahre Frauenhaus in Stade: Sprungbrett in die Freiheit

Foto: Thomas Kohler, CC BY-SA 2.0, Quelle: Flickr
Ein Gastbeitrag von Susanne Helfferich, Stader Tageblatt

Wenn für Frauen das Leben in den eigenen vier Wänden zur Hölle wird, ist das Frauenhaus in Stade oft der einzige Zufluchtsort.

Seit 25 Jahren gibt es die Einrichtung, finanziert durch den Landkreis. 823 Frauen haben dort in den 25 Jahren mit ihren Kindern Zuflucht gefunden. Die Adresse wird wohlgehütet – zum Schutz der Frauen und ihrer Kinder. Welche Bedeutung das Frauenhaus für die Betroffenen hat, haben vier mutige Frauen im Tageblatt-Gespräch erzählt.

Julia ist 32 Jahre alt, Lehrerin, Mutter von zwei Kindern. „Ich dachte, ich hätte mein Leben im Griff. Und dann wird einem der Boden unter den Füßen herausgehauen. Da war das Frauenhaus für mich wie eine Insel, auf die ich mich retten konnte.“

Als die Ehe für Julia unerträglich wurde, rutschte sie in Depressionen. Ihr Mann sei gewalttätig gewesen, habe sie ständig kontrolliert, sie gegenüber Außenstehenden für nicht zurechnungsfähig erklärt. Lange quälte sich Julia mit dem Entschluss, ins Frauenhaus zu gehen. Ihre Therapeutin riet ihr zu. „Als Lehrerin berate ich immer wieder Schüler in sozialen Notsituationen, aber als ich selbst in Not war, war es eine große Überwindung, Hilfe zu holen.“ Sie war sich nicht sicher, ob ihre Situation wirklich schlimm genug sei, ob es nicht noch schlimmer kommen müsse, um den Schritt zu rechtfertigen.

„So ergeht es vielen Frauen“, berichtet Silvia Steffens, Leiterin der Einrichtung. Der Leidensdruck wachse oft ins Unermessliche, bevor die Betroffenen endlich den Kontakt suchten.

So war es auch bei Maria*. Die Mutter von mehreren Kindern hat ein über Jahre andauerndes Martyrium hinter sich. „Ich habe immer versucht, meinem Mann alles recht zu machen, ihn gutzustimmen, damit er ein guter Vater ist. Ich war seine Sklavin. Aber ich konnte mich lange nicht entscheiden, von meinem Mann wegzugehen, obwohl er so brutal war. Ich hatte immer ein kleines Kind, da konnte ich doch nicht weg.“ Und die erwachsene Tochter bestätigt: „Alle in der Familie hatten Angst vor unserem Vater.“

Schließlich nutzte Maria einen Unfall der jüngsten Tochter zur Flucht. Sie täuschte einen Arztbesuch für das Kind vor und machte sich auf den Weg zu einem ihr vertrauten Mediziner. Der erkannte sofort die Situation und informierte das Frauenhaus.

Silvia Steffens holte Mutter und Kind in der Arztpraxis ab, telefonierte mit Schulen, Kindergärten und erwachsenen Kindern, organisierte für die großen Söhne Unterkünfte, die Kleineren und die Töchter konnten mit ins Frauenhaus. „Es war eine Wohltat, wie liebevoll sich um mich gekümmert wurde, wie ich getröstet wurde.“

So empfand es auch Jasmin. Sie nahm per Mail Kontakt zum Frauenhaus auf. Da lebte sie bereits vier Jahre mit dem Vater ihrer anderthalbjährigen Tochter zusammen. Doch er habe sie permanent kontrolliert, ihr keinen Kontakt zu Freunden erlaubt. „Das ging bis zu Handgreiflichkeiten“, erzählt die junge Frau. Einmal war sie mit Kind zu ihrem eigenen Vater gezogen, aber der Lebensgefährte holte sie unter Versprechungen, sich zu ändern, zurück. „Aber es wurde nicht besser, sondern nur viel schlimmer.“

Eine Freundin empfahl, sich ans Frauenhaus zu wenden. „Das fiel mir unglaublich schwer; ich hatte Angst vor der Situation, telefonieren wollte ich schon gar nicht.“

Die Antwort-Mail nahm ihr jede Sorge. „Darin stand, dass sie mir wirklich gerne helfen wollen.“ Sie packte und ließ sich und ihre Tochter nach Stade zu einem Treffpunkt bringen, wo sie Frauenhaus-Mitarbeiterin Anja Dienst abholte. „Als meine Tochter gleich ins Spielzimmer lief, dachte ich: Mein Kind weiß schon, dass hier alles besser wird.“

Als sich Julia im vergangenen Sommer durchgerungen hatte und im Frauenhaus anrief, wurde sie nicht nur emotional aufgefangen, sondern bekam ganz pragmatische Anweisungen. „Silvia Steffens hat mir gleich eine Packliste durchgegeben und ganz klar gesagt, was ich tun soll.“ Im Frauenhaus angekommen, kam sie wieder zur Ruhe.

„Ich hatte endlich wieder Zeit, mich um meine Kinder zu kümmern. Vorher hatte ich mich immer mit meinem Mann gestritten.“ Ihren Kindern erzählte sie, das Haus, in dem sie nun wohnten, sei ein „Beschützerhaus“, das man von außen nicht sehen könne und das man auch nicht verraten dürfe.

Das Beschützerhaus. So empfinden es die Frauen.

„Als mich Silvia in die Küche führte, die so freundlich ist und so bequem, habe ich mich gleich wohlgefühlt“, erzählt Maria*. „Es ist uns eine über Jahrzehnte angesammelte Last vom Herzen gefallen“, beschreibt es die Tochter. „Die Gemeinschaft mit den anderen Frauen war so toll, ein ganz neues Erlebnis“, sagt Julia.

Inzwischen ist die 32-Jährige wieder im Alltag angekommen und kommt nur noch ab und zu zu Besuch. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt, unterrichtet wieder und wird von ihrer Therapeutin und einem Netzwerk guter Freunde aufgefangen. Sie ist sich sicher, ohne die Zuflucht im Frauenhaus hätte sie das so nicht geschafft. Und so nickt sie kräftig, als Marias Tochter sagt: „Das Frauenhaus ist nicht die letzte Station. Es ist ein Sprungbrett in die Freiheit.“

* Name von der Redaktion geändert.

Jubiläumsausstellung

Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Frauenhauses in Stade kommt die Wanderausstellung „Die Hälfte des Himmels – 99 Frauen & Du“ mit 99 Porträts von und 99 Interviews mit Frauen ins Schleusenhaus. Die Ausstellung ist vom 10. bis 30. Januar 2014 zu sehen. Eröffnet wird sie am 9. Januar 2014 um 17 Uhr.

Die Kapazität reicht nicht aus – Frauenhaus hat letztes Jahr 23 Frauen und 28 Kinder abweisen müssen

Insgesamt 46 Frauen mit 49 Kindern wurden im Jahre 2012 im Stader Frauenhaus betreut. Ein Drittel lebte zuvor außerhalb des Landkreises. Die Mehrheit, 27 Frauen, blieben bis zu 14 Tage, sechs Frauen bis zu zwei Monate, weitere sechs bis zu vier Monate und eine bis zu einem halben Jahr. Nach dem Auszug aus dem Frauenhaus zogen 17 Betroffene in eine eigene Wohnung, acht wechselten in ein anderes Frauenhaus, zwei übernahmen die gemeinsame Wohnung nach dem Auszug des Partners, zehn wurden bei Freunden, Eltern oder in einer Klinik untergebracht; nur sechs Frauen zogen zurück zum Partner. Die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses führten zudem 173 Beratungen, davon 165 am Telefon und acht persönlich. Seit etwa sieben Jahren gibt es mit eine Kinderbetreuung. Nach Auskunft von Silvia Steffens und Anja Dienst ist es für die Frauen, die oftmals nicht berufstätig sind, zunehmend schwierig, im Anschluss eine Wohnung zu finden. Die Kapazität des Stader Frauenhauses ist voll ausgeschöpft. Durch die hohe Auslastung konnten 2012 23 Frauen und 28 Kinder nicht aufgenommen werden. Seit November 2013 mussten bereits zwölf Frauen in Not abgewiesen und an andere Frauenhäuser in Nachbarkreisen verwiesen werden. Das Frauenhaus ist telefonisch erreichbar unter Telefon 04141/44123.